FOSSGIS2013 - 36 2013_07_29

FOSSGIS 2013
Konferenz für freie und Open Source-Software im GIS-Bereich und für freie Geodaten

Veranstaltungen
Eröffnungsveranstaltung

Peter Lanz

Mit BE_SAFE soll versucht werden die Methoden des Monitorings von Schneelasten auf Gebäudedächern zu verbessern. Während der 18-monatigen Laufzeit des Projektes wird ein operationeller Prototyp in Form eines internetbasierten Geographischen Informationssystems (WebGIS) entstehen, der den bisherigen Ablauf der Schneelastenbeobachtung im Testgebiet deutlich zuverlässiger, schneller, einfacher und in der Summe effizienter gestalten soll. Darauf aufbauend ist die Entwicklung eines weitgehend automatisierten Frühwarnsystems geplant. Dies soll mit freier und offener Software umgesetzt werden, um hohe Skalierbarkeit, Übertragbarkeit und Interoperabilität des Endprodukts im Sinne des Paradigmas einer Service Oriented Architecture (SOA) zu erreichen. Die Vernetzung einer Reihe von OGC-konformen Services (Dienste des Sensor Web Enablement SWE, Web Processing Service WPS, Web Feature Service Transactional WFS-T) steht dabei im Mittelpunkt. Ein Web-Portal als zentrale Informationsoberfläche ist dabei gut geeignet, eine große Zahl unterschiedlicher Nutzergruppen in das System einzubinden. Hier ist insbesondere an für die Sicherheit von öffentlichen Gebäuden verantwortliche Personen gedacht, die Notfallpläne umsetzen können. Zudem soll Administratoren schreibender Zugriff auf die Schneelastdaten ermöglicht werden, um das System jederzeit adjustieren zu können. Damit wird BE-SAFE ein Frühwarnsystem sein, das bei zu hoher Schneeauflast automatisch die nötigen Schritte zur Aktivierung des Notfallplans einleitet, und in einer automatisierten Meldekette beispielsweise den Ablauf der Räumung von Dächern durch Vertragsdachdecker auslösen kann.

Schneelasten auf Gebäudedächern können zu statischen Problemen führen, im Extremfall kann ein Gebäude unter der Auflast kollabieren. Tragisches Beispiel dafür ist der Einsturz der Eislaufhalle in Bad Reichenhall am 2. Januar 2006 mit 15 Toten und zahlreichen Verletzten. Diesem Risiko kann durch permanente, weitgehend automatisierte Beobachtung und Dissemination der aktuellen Schneeauflast begegnet werden, um dann bei kritischen Situationen schon eingreifen zu können bevor ein Gebäude Gefahr läuft einzustürzen. Genau dieses Ziel verfolgt das Forschungsprojekt BE-SAFE an der Beuth Hochschule, Berlin, Professur für Geomedien, Geoinformation und Fernerkundung. Wettersensoren messen kontinuierlich verschiedenste Umweltparameter wie Niederschlag, Temperatur oder Luftfeuchte und können zu Beobachtungen dieser Art eingesetzt werden. Modelle zur Berechnung der aktuellen Schneelast fußen auf diesen, möglichst echt-zeitnahen Wetterdaten. Eine weitere Möglichkeit die Schneelast zu ermitteln sind spezielle Auflastsensoren, welche auf dem jeweiligen Gebäudedach installiert werden, um die Schnee- und Eisauflast direkt zu messen. Unabhängig davon welche Herangehensweise gewählt wurde ermöglichen es solche Systeme im Notfall rasch Entscheidungen zu treffen. Für eine darauf aufbauende Benachrichtigungskette ist es notwendig die Prozessabläufe zu automatisieren, und die benötigte Geoinformation stets aktuell und kontextspezifisch verfügbar machen zu können. Dies kann durch zeitnahe Integration der Sensormessdaten aus heterogenen Systemen in gemeinsame Analyseprozesse, der effizienten Organisation und Speicherung in einer dafür optimierten Datenbankstruktur in Kombination mit benutzerfreundlichen, maßgeschneiderten Web-Diensten zur Visualisierung der Ergebnisse gewährleistet werden. Im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf wird das Monitoring der Schneelasten auf öffentlichen Gebäuden derzeit noch manuell von verschiedenen Fachleuten übernommen, wobei manuell-analoge, aber sehr zuverlässige und langjährig bewährte Methoden zur Beurteilung der aktuellen Dachauflast zur Anwendung kommen. BE-SAFE soll alternativ zur bisherigen Praxis ein System entwickeln, das weniger personalintensiv weil automatisiert arbeitet, und die Schneelast genauer abzuschätzen vermag. Dabei konzentriert sich BE-SAFE auf die Beobachtung und Vorhersage eines Phänomens, das als „eine plötzlich auftretende hydro-meteorologischen Katastrophe mit geringer zeitlicher Dimension“ definiert wird. Dieses Aktivitätenfeld stellt neben der Einschätzung des Risikos, und der Organisation von Informationskampagnen, einen der drei Eckpfeiler der Katastrophenfrühwarnung dar [UNEP, 2012; GOLNARAGHI, M., 2005]. Für den äußerst sicherheitsrelevanten Prozess der Schneelastenüberwachung soll also ein digitales, Internet-gestütztes System auf Kartenbasis entwickelt werden. Zentrale Anspruch dabei ist die automatisierte Darstellung der Schneelastsituation in Echt-Zeit über ein benutzerfreundliches Front-End im Browser in Form eines vierfarbigen Ampelschemas zu visualisieren. Administratoren sollen zudem über dieses Portal Zugriff auf die Datenbank im Back-End gewährt werden.

Die technische Umsetzung des WebGIS soll mit dem Ziel der Übertragbarkeit, Skalierbarkeit und Interoperabilität dem Paradigma der Service Oriented Architecture (SOA) umgesetzt werden [ENDREI et al., 2004; GWENZI, 2010]. Weil dynamische, also zeitlich veränderliche Sensordaten in Echt-Zeit verarbeitet werden müssen, sind spezifische Programm- und Verarbeitungsstrukturen notwendig. Hierfür wird auf der Sensor Web Enablement (SWE) Initiative des OGC aufbauende Software verwendet. Das darin enthaltene Bündel an Spezifikationen und Dienste (z.B.: Sensor Web Service SOS) ermöglicht den standardisierten Zugriff auf Sensorsteuerung und Sensordaten und ergänzt den Schneelasteninformationsdienst um die realzeitliche Komponente [ADAMS, T., HELLE, D., 2009; JANSEN, M. UND ADAMS, T., 2010]. Dabei sollen die er einzelnen Komponenten im Hintergrund auf jene Weise kombiniert werden, als dass die Echt-Zeit Daten über ein zentrales Web-Interface abgerufen werden können. In der ersten Projektphase soll das System mit Messdaten zur Schneelast von zwei hierfür eigens installierten Schneewaagen versorgt werden. Die Datenverarbeitung und Kommunikation erfolgt gemäß den OGC-Spezifikationen des Sensor Observation Service (SOS) und des WFS-T. Für räumliche Analysen wie Interpolation der diskreten Schneelastdaten kann ein Web Processing Service (WPS) zur Anwendung kommen. Allerdings ist geplant, ein Schneelasten Berechnungsmodell zu etablieren, um die kostenintensiven Schneewaagen zu ersetzen. Dieses wird sich vereinfachter Methoden zur Abschätzung der Schneelast, wie zum Beispiel dem Grad-Tag Verfahren nach Martinec bedienen [MARTINEC, J., 1960]. Damit wird es, anders als die komplexeren Material- und Energiebilanzmodelle (z.B.: SNOW Modell des DWD: http://www.dwd.de/SNOW), mit nur wenigen Klimaindizes auskommen. Diese Echt-Zeit Klimadaten werden unter Berücksichtigung der für die Schneelast relevanten Gebäude- und Standortspezifika in einer Datenbank gesammelt, um damit die aktuelle Schneelast zu modellieren. Dabei soll das Modell definierten Objektklassen folgend für unterschiedliche Dachtypen die Schneelast individuell berechnen können. Eine empirische Forschungskomponente liefert die nötige Datenbasis, um die Dächer im Untersuchungsgebiet, unter Berücksichtigung von für die Schneemetamorphose relevanter Faktoren wie Wärmedämmung das Abschmelzverhalten, zu klassifizieren. Standortbezogener Faktoren wie Seehöhe und Klimaregime, sowie die Winterphasen, müssen zudem auf Signifikanz geprüft werden. Um die Genauigkeit des Modells zu erhöhen, werden diskrete Daten zu Schneehöhe und Schneedichte von nahem Klimastationen kontinuierlich (täglich) abgerufen und als Referenzwerte mit den Modellberechnungen abgeglichen. Die Messwerte der Schneewaagen dienen der Validierung.

Eine präzise Modellierung der Masse des Schneehorizonts offenbart sich als schwierig [BREMICKER, M, 2000; GÜNTHER, T. UND RACHNER, M., 2000; KNAUF, D., 1975; LANG, H., SCHAEDLER, B. UND DAVIDSON, G., 1977]. Dies ist in der Kleinräumigkeit wie Kurzfristigkeit von Niederschlagsereignissen begründet – und genau diese sind es, die Gefahrensituationen aufgrund zu hoher Schneelast auslösen können. Darum ist das richtige Maß zwischen Genauigkeit und Unsicherheit des Modells zu finden. Die genaue Berechnung der Schneelast eines bestimmten Gebäudes erfordert eine Reihe von Klimafaktoren in hinreichend hoher räumlicher wie zeitlicher Auflösung. Der technische Anspruch liegt in BE-SAFE diese Fülle von heterogenen Datenquellen, von Klimadaten verschiedener Anbieter bis hin zu den Daten der projekteigenen Schneewaagen, zu vernetzen und in eine automatische Verarbeitungsroutine in Echt-Zeit einzugliedern. Damit legt das Projekt die operationelle Basis für ein System, das Sensor(klima)daten zeitnah und automatisch prozessiert, daraus standortrelevante Modellberechnungen generiert, und damit ein Modell der echtzeitliche Realität abzubilden versucht. Mit Fertigstellung des Prototyps kann begonnen werden, das Schneemodell auf Genauigkeit für den Einsatz als Frühwarnsystem zu testen. Dieses soll dann bei zu hoher Schneeauflast automatisch den Notfallplan auslösen, um so tragische Unfälle wie in Bad Reichenhall zukünftig vermeiden zu können.

Literatur ADAMS, T. UND HELLE, D. (2009) OpenLayers trifft Sensor Observation Service (SOS). https://www.fossgis.de/wiki/OpenLayerstrifftSensorObservationService_(SOS), 2009. (6.August.2012) BREMICKER, M.(2000)Das Wasserhaushaltsmodell LARSIM - Modellgrundlagen und Anwendungsbeispiele. Freiburger Schriften zur Hydrologie, Band 11 Institut für Hydrologie der Universität Freiburg, 2000. ENDREI, M., ANG, J., ARSANJANI, A., CHUA, S., COMTE, P. UND KROGDAHL, P. (2004) Patterns: Service-Oriented Architecture and Web Services. IBM Redbook, 2004. GOLNARAGHI M. (2005) Early warning systems, UNEP/GRID-Arendal Maps and Graphics Library. http://maps.grida.no/go/graphic/earlywarningsystems, 2005. (23.Juli.2012) GÜNTHER, T. UND RACHNER, M. (2000) Langzeitverhalten von Schneedeckenparametern Ergebnisse aus KLIWA. KLIWA-Bericht 1: S68-80, JVA Mannheim; Mannheim, 2000. GWENZI, J. (2010) Enhancing Spatial web search with Semantic Web Technology and Metadata Visualisation. Enschede: International Institute for Geo-Information Science and Earth Observation, Enschede, 2010. JANSEN, M. UND ADAMS, T. (2010) OpenLayers - Webentwicklung mit dynamischen Karten und Geodaten. Open Source Press, München, 2010. KNAUF, D. (1975) Die Abflußbildung in schneebedeckten Einzugsgebieten des Mittelgebirges, Technischer Bericht aus dem Institut für Hydrodynamik und Hydrologie der TH Darmstadt. Heft 17, Darmstadt, 1975. LANG, H., SCHAEDLER, B. UND DAVIDSON, G. (1977) Hydrologische Untersuchungen auf dem Ewigschneefeld des Großen Aletschgletscher.- Zeitschr. f. Gletscherk. und Glaziologie 2:109-124, 1977. MARTINEC, J. (1960) The degree-day factor for snowmelt runoff forecasting. In IUCC general Assembly of Helsinki, IAHS Commission of Surface Waters, Nr 51, S 468-477. IAHS, Helsinki, 1960.

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